Unsere Metropole: FUA, Metro Region, LEP, Vismon … SENF, oder warum wir uns #NUE2025 nennen

Urban Center, Metropole und Functional Urban Area Nürnberg

Unsere Metropole: FUA, Metro Region, LEP, Vismon … SENF, oder warum wir uns #NUE2025 nennen

Bilderklärung: Urban Center (dunkelblau), Metropole (dunkel- plus mittelblau) und Functional Urban Area als Metro Region / Planungsregion Nürnberg (alles blaue) sind auf dem Bild von innen nach außen zu sehen. Die Begriffe werden im Text unten erläutert.

Unsere Metropole ist räumlich gar nicht so leicht zu verstehen: Wenn wir von „wir bewerben uns“ schreiben und reden, wen meinen wir dann? Klar gibt es Stadtgrenzen, aber der Metropole als Kulturraum sind diese reichlich egal. Was oder wer bewirbt sich also da eigentlich und wen sprechen wir, #NUE2025 an?

Eine schnell zu lesendes Fazit findet sich am Ende des Artikels.

Wenn man sich auf die Reise begibt, die Stadt – auch als Begriff, als Idee, als Phänomen an und für sich – zu erkunden, gibt es viel zu entdecken. Man kann sich aber auch darin verlieren. Hier im Blog wollen wir jedoch die Themen etwas geraffter abhandeln. Gehen wir also mit einem klaren Ziel auf die Reise. Das Ziel ist „wir bewerben uns zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025“ und schauen uns dafür an, was das denn ist: „Stadt“.

Die Ausschreibung des Wettbewerbs für Städte

In der Ausschreibung der Kulturstiftung der Länder – die den Wettbewerb in Deutschland ausrichtet – steht:

Der Titel gilt einer Stadt. Städte können umliegende Regionen einbeziehen, wenn sie es wünschen, aber der Titel wird nur der Stadt selbst und nicht den gesamten Regionen verliehen. Bezieht eine Stadt die umliegenden Regionen ein, so wird die Bewerbung daher unter dem Namen der Stadt eingereicht.

Was die Menschen in der Debatte aber vergessen haben, ist diese Frage zu beantworten:

Was ist eigentlich eine Stadt?

Ich mein‘ das klingt vielleicht komisch, aber Hannover ist doch Hannover, Laatzen aber nicht, so wie Stein nicht Nürnberg ist, oder? Nö, sagt der Fachmann und verweist erstmal auf den Wikipedia-Artikel „Stadt“:

Eine Stadt […] ist eine größere, zentralisierte und abgegrenzte Siedlung im Schnittpunkt größerer Verkehrswege mit einer eigenen Verwaltungs- und Versorgungsstruktur. Damit ist fast jede Stadt zugleich ein zentraler Ort.

Okay, danach ist Hannover ganz klar Hannover, wahrscheinlich mit, oder auch ohne Laatzen.

Wer ist diese Stadt als Person?

Politische, verwaltungstechnische Bedingungen sind nach obiger Definition jedoch nicht geklärt. Schließlich braucht jemand der an einem Wettbewerb teilnimmt eine Konstitution. Es kann ja nicht jeder Beliebige daherkommen, sich als Stadt ausgeben und bewerben. Wir gehen der Einfachheit halber (obwohl in Irland und Großbritannien durchaus eine Art „Verein“ die Bewerbung übernimmt) davon aus, dass sich nur eine juristische Person des öffentlichen Rechts bewerben kann, genauer eine Gebietskörperschaft, da wir ja von Städten reden. Über das Wesen von Hannover als Gebietskörperschaft herrscht jedoch Verwirrung: es ist eine der Region angehörige Gemeinde, als Landeshauptstadt benamst, hat zwar die Rechtsstellung einer kreisfreien Stadt, ist aber keine. Oder, so würde sich der Fachmann ausdrücken: auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte, NUTS Level 3 gibt es keine Stadt Hannover, sondern nur die „Region Hannover“ (NUTS-Code: DE929, ein „Kommunalverband besonderer Art“, einem Landkreis adäquat) und auf den Ebenen darunter nur eine Gemeinde Hannover.

Einfügen muss man hier auch, dass Kultur im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung – konkret festgemacht am Unterhalt der Kultureinrichtungen – zum Aufgabengebiet der Landkreise (und gebietskörperschaftlich analog den kreisfreien Städten) gehört, nicht jedoch zu dem der Gemeinden. Aus der Sicht der Kulturhauptstadt-Bewerbung bzw. der Kulturverwaltung stellt sich also die Frage: Existiert eine „Stadt Hannover“ überhaupt, wenn doch für kulturelle Angelegenheiten der Landkreis zuständig ist? Nun, wir müssen einsehen, dass die Frage „Was ist eigentlich die Stadt, die sich bewirbt?“ ganz offensichtlich nicht einfach im Sinne einer definierten Gebietskörperschaft zu beantworten ist. Das wäre ja auch zu blöd, wenn sich Berlin nicht bewerben dürfte, weil es ein Bundesland ist oder bei jedem Bewerber die rechtliche Verfassung studiert werden muss, ob da irgendwo das Wort „Stadt“ vorkommt (Verf. v. Berlin – Absch. I: Art. 1 (1): „Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt.“).

Deutscher Titel „Stadt“ – ein kaiserliches Erbe

Andererseits dürfen sich alle aktuellen Bewerber „Stadt“ nennen: Zittau z. B. soll der Legende nach durch Ottokar II. von Böhmen 1255 als Ansiedlung zur Stadt erhoben worden sein, was damals mit bestimmten Rechten und Pflichten einherging. Das heutige Zittau hat dabei weder räumlich, noch strukturell viel Ähnlichkeit mit diesem Erbe: die große Kreisstadt hat sich flächenmäßig als Kommune durch Eingemeindungen wesentlich vergrößert und umfasst auch funktional eigenständige Siedlungen, ist aber als Gemeinde (Gebietskörperschaft im Range LAU 2, 2 Stufen unter NUTS 3) innerhalb eines Landkreises rechtlich gegenüber dem Mittelalter deutlich weniger souverän, siehe oben Stichpunkt „Aufgabe Kultur in der kommunalen Selbstverwaltung“. Um es klar zu sagen: es bewirbt sich als Zittau eine flächige Kommune (mittlere Größe, eine Bevölkerungsdichte in der Größenordnung von ganz Sachsen, bzw. Deutschland), die den vormals kaiserlichen Titel „Stadt“ geerbt hat. Wieviele der rund 25 Tausend Einwohner in der ehemaligen Stadtgemeinde Zittau leben und wieviele in der restlichen Gemeinde, ist unklar.

Wir können uns auch kaum vorstellen, dass sich der Wettbewerb um die Europäische Kulturhauptstadt im 21. Jahrhundert auf eine ursprünglich kaiserliche oder landesherrliche Vergabe von Rechten beruft, die heute nurmehr eine reine Titelvergabe ohne Rechte oder Pflichten darstellt: aktuell gibt es in Deutschland 2.058 verwaltungsrechtlich selbstständige Gemeinden (Kommunen), die diesen Titel tragen dürfen, siehe Liste der Städte in Deutschland. Bei vielen fällt auf, dass sie als Gemeinde wie Zittau keinem umschlossenen Stadtgebiet mehr entsprechen und/oder das ursprüngliche, titelgebende Konglomerat nurmehr ein kleiner Teil der Kommune ist. Ein Beispiel aus unserer Region ist die Kommune Altdorf bei Nürnberg, die sich ebenfalls „Stadt“ nennen darf. Zudem findet man Kommunen, die sich Städte nennen dürfen, aber wirklich nichts davon zeigen, was mit einer „Stadt“ oder gar „Capital“ verbunden wird, so z. B. Arnis, die mit weniger als 300 Einwohnern und mit 0,45 km² kleinste Stadt Deutschlands.

Diesen Titel „Stadt“ kann die Kulturstiftung der Länder im Auftrag der EU also sicher nicht als hartes Bewerbungskriterien meinen. Schließlich gelten in anderen Ländern ganz andere Regeln und Gepflogenheiten, was warum den Titel „Stadt“ oder gar „Capital“ führen darf.

Der zentrale Ort als kulturelle Konzentration

Leider hat die EU jedoch keinerlei Vorgaben zur Ausschreibung gemacht, in der sie definiert hätte, was unter „Stadt“ zu verstehen sei. Sie überlässt das den jeweiligen Ländern. Auch in Österreich (das 2024 eine ECOC stellt) ist der Begriff Stadt nicht näher bestimmt. In dem Beschluss der EU zur Europäischen Kulturhauptstadt steht in der Englischen Version lediglich:

„The title should continue to be reserved to cities, irrespective of their size, but in order to reach a wider public and amplify the impact, it should also be possible, as before, for the cities concerned to involve their surrounding area.“

Und weiter unten in Art. 4 (1)

„Where a candidate city involves its surrounding area, the application shall be made under the name of that city.“

Diese Verwendung des Begriffes City bei einem Mangel an Definition, kann als Einladung zur Vielfalt und Entwicklung verstanden werden: Liebe Mitgliederländer, Eure Kür reflektiert auch Eure Sicht, was „City“ aktuell bedeutet. Es wäre für die EU ein Leichtes gewesen, den Begriff exakter zu bestimmen, die Werkzeuge dafür hat sie, z. B. die bereits genannte Klassifiaktion der „Local administrative unit“, oder die „Urban Audit City“, siehe unten. Trotz der Unbestimmtheit und gerade deshalb möchte die EU das Program auf Cities konzentrieren und nicht beliebige Kandidaten zulassen. Das Program zwingt uns also über City/Stadt zu reflektieren. Was könnte das also jenseits gegebener Verwaltungsstrukturen sein? Fragen wir daher erstmal nach dem Begriff „zentraler Ort“, der oben in der Definition von Stadt bereits vorkam.

Zentrale Orte sind Orte, in denen Verwaltungs-, Dienstleistungs-, Verkehrs-, Kultur-, Bildungs- und Wirtschaftsfunktionen für ein Umland konzentriert sind.

Eine Stadt ist also eigentlich immer ein zentraler Ort, aber ein zentraler Ort muss nicht unbedingt eine und nur eine Stadt sein. Manche zentralen Orte haben schließlich nie das Stadtrecht erhalten, oder aber mehrfach – dazu später mehr. Für die Europäische Kulturhauptstadt hilft uns dieser Begriff des „zentralen Ortes“, da er offensichtlich (auch) auf die kulturelle Integrationskraft abhebt und nicht verwaltungstechnischer Natur ist.

Der Europäische Begriff der „City“

Die EU mit seiner Eurostat und gemeinsam mit der OECD entwickelte einen einheitlichen Begriff „City“ – in der deutschen Übersetzung „Stadt“ –, die sogenannte Urban Audit City: danach werden zunächst in mehreren Schritten Urbane Zentren anhand zusammenhängender, dicht besiedelter Flächen identifiziert. Solche mit über 50.000 Einwohnern werden zur City. Details finden sich in der gut zu lesenden Broschüre Cities in Europe – The new OECD-EC definition , eine Zusammenfassung auf Deutsch findet sich hier (Achtug: der Begriff der „Metropolitan Region“ ist dort falsch als „Metropolregion“ übersetzt, siehe unten „Einschub: Metro Region versus Metropolregion“). Anschließend werden diese Urbanen Zentren mit der politischen Verwaltungsstruktur verglichen (Gemeindegrenzen). In seltenen Fällen weicht das Urbane Zentrum deutlich von den Grenzen ab. In einigen Fällen ist das Urbane Zentrum viel größer, als die verwaltungstechnische Stadt selber:

In some cases, the urban centre is stretches far beyond the boundaries of city. This problem is called an ‘underbound’ city, in other words the city is too small relative to its centre. This can be resolved in three ways: 1) create a greater city level, 2) cover a single centre with multiple cities and 3) a combination of these two approaches.

In manchen Fällen erstreckt sich das Urbane Zentrum weit über die Grenzen der Stadt. Dieses Problem wird eine ‘entgrenzte’ Stadt genannt. Mit anderen Worten, die Stadt ist gemessen an dem Urbanen Zentrum zu klein. Dies kann auf drei Arten gelöst werden: 1) einrichten der Ebene einer Greater City, 2) abdecken eines einzelnen Urbanes Zentrums mit mehreren Städten und 3) eine Kombination dieser beiden Ansätze. [Übers. d. V.]

Nun in Deutschland wird die Methode „1) Greater City“ bisher nicht angewendet, sondern immer nur „2) auf mehrere Städte aufteilen“. Im Gegensatz zur übrigen EU, in der es 26 und der Schweiz, in der es alleine sieben solcher Greater Cities gibt. Barcelona vereint 10 ursprüngliche Städte zu einer Greater City, London 33. Eine Liste aller Greater Cities im Gebiet der Eurostat findet sich in der oben verlinkten Broschüre, S. 6f. Sicher könnte sich eine solche „Greater City“ als ECOC bewerben und alle europäischen Großstädte hatten ähnliche Vereinigungs- oder Eingemeindungsprozesse durchlaufen, beispielhaft sei auf die Bildung von Berlin 1920, wie wir es heute kennen verwiesen.

Konsequenz für unsere Metropole

Für die Region in der wir leben, haben die Statistiker ein Urbanes Zentrum ausgemacht, das deutlich von den politischen Verwaltungsstrukturen, Gemeindegrenzen abweicht, über diese hinausgeht. Wir leben also in einer solchen, entgrenzten Stadt. Da auf die Gründung von Greater Cities in Deutschland verzichtet wird, wurde das Urbane Zentrum mittels dreier Städte abgedeckt: Unser Urbanes Zentrum erstreckt sich auf drei Urban Audit Cities, nämlich Nürnberg, Fürth und Erlangen. Zu sehen ist das so entstandene Urbane Zentrum als dunkelster Kern im Bild. Zum Umgang des Landes Bayerns damit später mehr.

Einschub: untere Grenze für City, bzw. Stadt

Für Nürnberg, Fürth, Erlangen weniger interessant, aber für Schwabach relevant, ist die untere Abgrenzung: die EU definiert 50 Tausend Einwohner als untere Grenze einer City. Urbane Zentren, oder deren nach Verwaltungsstruktur geteilte Stücke unter dieser Grenze werden als „Town“ bezeichnet … in Deutscher Übersetzung lustigerweise ebenfalls „Stadt“. Aus diesem Grund besteht unsere Metropole nach Eurostat nicht aus vier Urban Audit Cities, sondern dreien, plus einer „Town“. Nun ist Zittau nach dieser Definition ebenfalls eine Town und keine City: nach den englischsprachigen Dokumenten, die bei der ECOC als Arbeitsgrundlage dienen, könnte man fragen, ob es sich überhaupt bewerben darf … aber keine Angst: die Liste der Europäischen Kulturhauptstädte zeigt mehrere Gemeinden, kleiner als 50 Tausend Einwohner.

Ab wann eine Siedlung vom Dorf zur Stadt wird, ist aus siedlungsgeografischer Tradition heraus zwar zu beantworten: Großdörfer haben 250 bis 500 Wohnstätten und von Stadtdörfern spricht man bei über 500 Wohnstätten oder 2.500 Einwohnern, während Siedlungen mit weniger als 2.000 Einwohnern zu den Zwergstädten, mit 2.000 bis 4.999 Einwohnern zu den Landstädten, darüber zu den Kleinstädten und so weiter gerechnet werden. Irgendwo zwischen 250 Wohnstätten und 2.000 Einwohnern wird eine Siedlung also zur Stadt. Als Kriterium für eine Bewerbung um den Titel European Capital of Culture kann das aber nicht gelten. Insbesondere, da alle Europäischen Statistiken auf Ebene der Gemeinden (LAU 2) halt machen: bei Flächengemeinden wie Matera (ECOC2019) macht diese Form der Begriffsfindung keinen Sinn. Und die pure Zahl der Einwohner oder Wohnstätten sind für die Bedeutung als Kulturraum ebenso irrelevant, wie verwaltungstechnische Größen: Valetta (ECOC2018) hat nur rund 5.700 Einwohner auf 0,84 km².

Diese Fragestellungen sind auch für unsere Kultur-Metropole relevant, schließlich suchen wir nach der Entität, die die Kulturstiftung der Länder im Auftrag der EU im Sinn hat: wie sollen wir unsere Grenze verstehen, wenn zwischen gebietskörperschaftlichen, soziologischen und geografischen Begriffen changiert wird?

FUA und Metro Region und Planungsregion

Die Bedeutung der Urbanen Zentren für ihr Umland und die komplexen Beziehungen von Nachbargemeinden – gerade im Status einer City – sind auch den Menschen von Eurostat wohl bekannt. Insbesondere die Zunahme an Menge und Entfernung der Pendlerbewegungen. Auch wohl bekannt sind die dynamischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, mit denen durch Eingemeindungen nicht sinnvoll Schritt zu halten war (ein Grund für die Einrichtung der Greater Cities). Über die Analyse der wahren Urbanen Zentren mittels Bevölkerungsdichte (siehe oben) und der daraus abgeleiteten Definition einer Gemeinde als Stadt hinaus, haben die Europäer daher in einem weiteren Schritt die Gemeinden auf ihre Abhängigkeiten untereinander bzw. ihre gemeinsame Raumbildung hin untersucht: wie viele Menschen pendeln von Stadtgemeinde zu Stadtgemeinde oder von aussen in die Urbanen Zentren. Auch wenn diese Statistiken lediglich die Berufspendler und nicht die Freizeit- und Kulturpendler erfassen, sagen sie etwas über die gelebte Stadt. So entstehen die sogenannten funktionalen städtischen Gebiete (FUA bedeutet „Functional Urban Area“, frühere Benennung war LUZ=“Larger Urban Zone“) die die echte Stadt mit ihrem Wirkungskreis umfasst.

Eine FUA wird dann zur Metro Region (auch Metropolitan Region) erhoben, wenn sie mehr als 250.000 Einwohner umfasst. Unsere Kultur-Metropole ist also die Metro Region mit dem Urban Audit Code DE014M (bzw. dem Code für FUA/LUZ DE014L1) und umfasst neben den „Cities“ Nürnberg, Fürth, Erlangen auch die „Town“ Schwabach, sowie die urban besiedelten Landkreise Fürth und Erlangen-Höchstadt und die mitteldicht besiedelten Landkreise Nürnberger Land und Roth, mit zusammen rund 1,35 Millionen Einwohnern und einer Dichte von 459 E/km². Auf dem Bild ist dies die gesamte blaue Fläche.

In Bayern und seinen Verwaltungen wird diese Region im übrigen (Planungs-)Region Nürnberg genannt. Für die Planungsregion Nürnberg gibt es eine übergreifende Institution, namens Planungsverband Region Nürnberg, welche seit 1973 ordentlich arbeitet. Auch wenn dieser sich im Kapitel 8 der Regionalplanung um „Soziale und kulturelle Infrastruktur“ kümmert, so scheint sich der Planungsverband in der redaktionellen Überarbeitung aus dem Jahr 2017/2018 zwar mit dem Zeidlermuseum im Markt Feucht (S. 8 unter „8.4.1.2 Museen“) befasst zu haben, jedoch nicht mit der Bewerbung zur ECOC2025.

Wir sind eben nicht schlicht eine übliche monozentrische Großstadt mit einem Speckgürtel drumherum, wie unsere Mitbewerber Dresden und Hannover, oder eine einheitliche Stadt auf großzügiger Fläche wie Magdeburg, Gera und Chemnitz, sondern eine polyzentrische Metropole. Interessant ist, dass dieses Konzept, dass in unserer Metropole historisch bedingt ist, als zukunftsträchtigstes Leitbild aktueller Stadtentwicklung betrachtet wird.

Dass diese Einstufung durchaus das reale Leben abbildet, zeigen viele Indizien, unsere alltäglichen Erfahrungen im Kulturbetrieb und Recherchen in den (Themen-)Plenen. Vom Nightliner-Netz über Kreativen-Netzwerke, Stammtische, Freundschafts- und Kollegenkreise bis hin zu der Herkunft der Kultur-Kosumenten: die Metro Region, FUA, LUZ, Planungsregion Nürnberg ist kein theoretisches Konstrukt, sondern tägliches Erleben.

Einschub: Metro Region versus Metropolregion

Anmerkungen zum Begriff Metro(politan) Region versus Metropolregion: Der Begriff der Metropolregion ist keiner, der eine Stadt beschreibt, sondern das Flächenland an Städte anbindet. Es ist auch kein kulturgeografischer oder statistischer Begriff, sondern ein politischer und das ist nicht abwertend gemeint. Die Metropolregion Nürnberg erstreckt sich im Norden bis nach Thüringen hinein, im Osten an die Tschechische Grenze, im Süden bis zur Metropolregion München, im Westen bis zur Metropolregion Stuttgart. Die Grenzziehung ist mehr oder weniger beliebig und unsere Metropolregion hat eine Bevölkerungsdichte, die deutlich unter der Deutschlands liegt. Das ist zum gemeinsamen Marketing nicht schlecht, aber wenig ergiebig für die Begriffsfindung des Raums, mit dem man sich als kulturelles Gebilde zur European Capital of Culture bewirbt.

Unsere Metropole nach dem Landesentwicklungsprogramm Bayern LEP

Bayern gab sich als Grundlage der mittel- und langfristigen Entwicklung das sogenannte Landesentwicklungsprogramm Bayern, kurz LEP. Beschrieben wird das LEP hier als:

Das Landesentwicklungsprogramm Bayern (kurz: LEP) ist das fachübergreifende Zukunftskonzept der Bayerischen Staatsregierung für die räumliche Ordnung und Entwicklung Bayerns. Darin werden landesweit raumbedeutsame Festlegungen (Ziele und Grundsätze) getroffen.
• Ziele sind von allen öffentlichen Stellen zu beachten […]
• Grundsätze sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen.

Aktuell liegt es in der ersten Fortschreibung 2018 vor. Rechtsgrundlage ist das Bayerische Landesplanungsgesetz. Umfassende Informationen finden sich auf der eigens eingerichteten Website des Landes zur Landesentwicklung.

Relevant für die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt ist es nicht nur, weil die Bewerbung selbstverständlich eine raumbedeutsame Maßnahme darstellt, sondern weil darin „zentrale Orte“ und deren Aufgaben definiert sind. Also, wer sich um was kümmern soll. Relevant ist das LEP auch, weil es eine Rechtsgrundlage darstellt, die wir einzuhalten haben, wenn wir die Unterstützung des Landes Bayerns für die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt erhalten wollen. Schließlich ist ECOC, so versichern uns alle, keine Werbemaßnahme, sondern ein Stadt-Entwicklungs-Projekt und in seinen Dimensionen relevant für die Landesentwicklung. Und schließlich, weil die im LEP festgelegten Dinge nicht vom Himmel fielen, sondern das Ergebnis von langer und guter Vorarbeit von Menschen ist, die sich damit professionell beschäftigen. Es ist ein Kondensat der Stadtsoziolog*inn*en, Raumplaner*innen und Strukturentwickler*innen. Hinter den dort niedergelegten Stand zurück zu fallen stellte demnach einen Rückschritt dar.

Um es für uns relevant auf den Punkt zu bringen, werden im LEP:

  • Metropolen als höchste Stufe der zentralen Orte bestimmt (2.1.2. e) ).
  • Die Aufgabe der Metropolen definiert (2.1.10):
    „Die Metropolen sollen als landes- und bundesweite Bildungs-, Handels-, Kultur-, Messe-, Sport-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftsschwerpunkte weiterentwickelt werden. Sie sollen zur räumlichen und wirtschaftlichen Stärkung der Metropolregionen und ganz Bayerns in Deutschland und Europa beitragen.“
  • Zentrale Orte falls nötig und sinnvoll als Mehrfachorte bestimmt (2.1.11):
    „Im Ausnahmefall sollen zwei oder mehr Gemeinden als Zentrale Doppel- oder Mehrfachorte festgelegt werden, wenn dies räumlich oder funktional erforderlich ist. Dabei soll eine bestehende oder künftige interkommunale Zusammenarbeit besonders berücksichtigt werden. Die Zentralen Doppel- oder Mehrfachorte sollen den zentralörtlichen Versorgungsauftrag gemeinsam wahrnehmen.“
  • Im Kommentar zu 2.1.11 näher bestimmt:
    „Um die Kooperation zwischen den Zentralen Doppel- und Mehrfachorten zu bekräftigen und umzusetzen, bietet es sich an, einen landesplanerischen Vertrag nach Art. 29 BayLplG zu schließen.“
  • Unser Urbanes Zentrum als Mehrfachort im Rang einer Metropole definiert (Anhang 1; 4.2):
    „Nürnberg/Fürth/Erlangen/Schwabach“

Im Bild ist unsere Metropole als der dunkel- plus mittelblaue Kern dargestellt.

Wir 4, Vismon oder SENF

Wir sind also ein zentraler Mehrfachort vom Rang einer Metropole und rund 800.000 Einwohnern, haben aber eine veritable Identitätskrise: woher soll ich wissen, wer ich bin, wenn ich nicht weiss, wie ich heiße? Nun kommen wir heute alle (na fast zumindest) mit Patchwork-Identitäten klar, vor allem in den kultur-affinen Szenen. Jedoch ist in Anlehnung an Wittgenstein durchaus wahr: Was man nicht benennen kann, darüber muss man schweigen? Man könnte sich ja mit Verve und guten Argumenten über eine enge Vorstellung des Begriffs Stadt hinwegsetzen und sich als Metropole zur ECOC2025 bewerben … hätte man einen Namen.

Wir als #NUE2025 hatten in den letzten Monaten öfter mit zwei Akronymen – eines davon sogar ein Apronym – gespielt: Vismon und SENF. Senf erklärt sich als einziges sprechendes Anagramm der Anfangsbuchstaben der vier Städte und Vismon ist das Akronym für Vier Städte Metropole ohne Namen. Während Senf sich rumgesprochen hat, ist Vismon eher durchgefallen. Tatsächlich ist es aber schwer einen Namen zu finden, der in der Metropole akzeptiert würde: die Statistiker nehmen schlicht den Namen der größten Stadt und so sind die Urban Audit Codes DE014M und DE014L1 schlicht mit „Nürnberg“ benamst, was Stein und Schwaig vielleicht hinnehmen könnten, aber mitnichten die Großstädte Fürth und Erlangen, immerhin die 7. und 8. größten Städte Bayerns. Es verbieten sich auch schlicht Neuerfindungen, wie es in Künstlerkreisen gerne mal gemacht wird (unter anderem stand schon Bethang und Berngrün im Raum). Die Vier Städte arbeiten seit 1972 als Nachbarschaftskonferenz (NKS), dem zentrale Gremium zur interkommunalen Kommunikation und Zusammenarbeit unter dem Namen „Wir 4“ zusammen, mal besser, mal schlechter, auf alle Fälle nahezu unerkannt von der Öffentlichkeit.

#NUE2025

Wir hatten uns bereits ganz zu Anfang als Initiative der Kultur- & Kreativszene des Großraums verstanden, aus der Erfahrung der Beteiligung am Creativ Monday, unserm Ökosystem aus dem wir erwuchsen: es treffen sich dort Menschen, deren geografische Verortung am besten mit der FUA / Metro Region Nürnberg beschrieben werden kann, also den Städten SENF plus angrenzenden Landkreisen.

Daher gaben wir uns einen Namen, der verstanden wird, aber über die Gemeindegrenzen hinausweist: NUE ist das Kürzel des internationalen Flughafens unserer Metropole und daher eine Art goldene Brücke der Identifikation.

Fazit

Die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt fordert die teilnehmenden Städte nicht nur auf, ihre ideelle kulturelle Identität zu hinterfragen und zu bestimmen, sondern auch ihre kultur-räumlichen Wirkkreise. Die Vorgaben der EU zum Thema „Was ist eine Stadt?“ sind bewusst vage, um zu einer konstruktiven Reflexion über den Stadtbegriff einzuladen, auch zur Konstitution und Administration. Die Ausschreibung und Debatte in Deutschland geht zur Zeit von einfachen Denkmustern zum Thema „Stadt“ aus: Es handelt sich bei den meisten Bewerbern um monozentrische Großstädte, welche mehr oder weniger in konzentrischen Wellen in der Region auslaufen. Sie dominieren die anliegenden Kommunen und Gemeinden, die so unproblematisch in eine Bewerbung der Zentralstadt eingebunden werden können. Lediglich Zittau als kleinere Mittelstadt hat nicht die Integrationskraft und setzt daher bewusst auf gleichberechtigte Kooperation. Und Nürnberg?

Nürnberg steht jedoch für ein polyzentrisches Urbanes Zentrum, welches mit Recht im Bayrischen Landesentwicklungsplan als Mehrfachort im Rang einer Metropole definiert ist. Egal, ob die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt der schlichten Ausschreibung folgen sollte und Nürnberg sich als singuläre Stadt bewirbt, oder wir doch den Mut haben uns als durch Bayern bestimmte Metropole, von der EU bestimmtes Urbanes Zentrum oder FUA bewerben: Die jetzt bereits gelebte und in Zukunft noch stärker sich ausbildende Einheit als ein polyzentrischer Kulturraum (mit diversen Identitäten) muss zentrale Aufgabe bei der ECOC2025 in SENF sein.

Die Frage, warum wir einen Titel Europäische Kulturhauptstadt brauchen, kann hier pointiert beantwortet werden: weil wir uns nach Jahrhunderten des Zusammenwachsens einzeln emanzipierter Bürgerstädte doch als gemeinsames Zukunftsprojekt verstehen lernen müssen. SENF kämpft nicht gegen Schwund, sondern mit einem Urbanen Raum, der die Verwaltungsgrenzen aus dem letzten Jahrhundert längst überschritten hat. Es muss keine Greater City geschaffen werden, aber das aktuelle Kirchturm-Denken muss aufhören. Eine gemeinsame Bewerbung wurde in der Nachbarschaftskonferenz nicht mal diskutiert, sondern die Bewerbung Nürnbergs schulterzuckend hingenommen.

Darüber hinaus muss der angebundene Raum abgestuft eingebunden werden. Die Functional Urban Area als Metro Region oder Planungsregion Nürnberg ist viel enger und direkter mit den vier Kernstädten verknüpft, u. a. durch tägliche Pendler, auch als Freizeit- und Kultur-Pendler von Schule bis Kneipe, von BZ/VHS zur Bibliothek. Der weiteren Metropolregion Nürnberg kann die Teilnahme gerne als freiwilliges Engagement entgegengebracht werden.

Angesagt wäre demnach eine formale Interkommunale Zusammenarbeit zur ECOC2025, etwa ein Zweckverband: für Scheisse (Abwasser), Verkehrsüberwachung und ÖPNV bekommen wir es hin, aber für die Kultur nicht?

Die Jury ist helle und wird Diskrepanzen zwischen Selbstbild, Seinwollen und Realität aufdecken und zukunftsgewandtes Infragestellen von vermeintlich einfachen Antworten goutieren:

Wer bewirbt sich also? Die Kultur-Metropole SENF mit der anschließenden FUA!

3 Comments
  • Angela von Randow
    Posted at 18:40h, 17 Dezember Antworten

    Danke für die sorgfältig investierte Recherche, Beschreibung und pointierte Meinung.

  • Angela von Randow
    Posted at 14:27h, 19 Dezember Antworten

    Danke Philip für die sorgfältige Recherche und Ausdruck Deiner dezidierten Meinung.

  • Angela von Randow
    Posted at 18:26h, 19 Dezember Antworten

    Das ist eine interessante Recherche und danke Philip für Deine dezidierte Meinung.

Post A Comment