Neue Neue oder welche Kulturpolitik?

Neue Neue oder welche Kulturpolitik?

Neue Kulturpolitik

Sehen wir es nicht so verklärt: die sogenannte „Neue Kulturpolitik“ der Ära Glaser war kein heiter einvernehmliches „wir machen tolle, schöne Kulturangebote“.

Nein, da war Streit, da war Auseinanderetzung, da waren auch Anfeindungen … auf alle Fälle gab es fundamental unterschiedliche Vorstellungen des Zusammenlebens. Pointiert zeigten das die Reaktionen rund um das Symposium Urbanum und die KOMM-Verhaftung am 5. März 1981. Das wurde ausgetragen, das wurde ausgehalten, das war Politik, Kulturpolitik.

In der heutigen Ära werden die Debatten um Olaf Metzels temporäre Umbauung des Schönen Brunnens zur Fussball Weltmeisterschaft 2006 bereits als kaum hinnehmbare Störung des Betriebsfriedens in der Stadt empfunden und die Kulturreferentin sagte auf dem Podium der „Let’s Talk“-Veranstaltung am 12. September 2017 sie würde so etwas nicht mehr machen.

Ende vom Ende der Geschichte

Dabei haben wir 25 Jahre lang nach dem Ende der Geschichte nur wohlig geschlummert und wachen grade erst auf. Das was uns bevorsteht ist mehr als Streit um „Hässlichkeit“ oder „Verschandelung“. In Bayern wird dieses Jahr der Landtag gewählt und in Nürnberg die Bewerbung um den Titel Europäische Kulturhauptstadt (ECOC) 2025 zum Finale geführt. Das wird auch ein Deutungsstreit darüber werden, welches Verständnis des Begriffs „Kultur“ sich durchsetzt. Die – für Nürnberg reaktionäre – Vorstellung nach Herder, wonach Kulturen abgeschlossene Systeme ähnlich Kugeln seien, welche nur aneinander stoßen könnten. Oder die Vorstellung von Kulturen als sich durchdringende Sphären, die durch den Übergang ineinander Entwicklung erzeugen. Diese Vorstellung von Kultur in der Tradition von Kluckhohn und Welsch führt zu dem aktuell gebrauchten Begriff der Transkultur, der auch in der Erarbeitung Nürnbergs Kulturstrategie 2030 verwendet wird. Sie war aber auch Grundlage der Neuen Kulturpolitik Nürnbergs in der Ära Glaser. Kulturzentren, in denen Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkünfte ihr eigene Kultur leben und ausformen können und miteinander neue Formen der Kultur erzeugen, erzwingen das Verständnis, das Kultur kein homogenes, abgeschlossenes System sei. Da gibt es keinen Platz für eine zementierte Leitkultur über ein Grundgerüst an Werten wie das Grundgesetz hinaus. Da wird mit Knoblauch gekocht, der Gartenzwerg gestreichelt und Lack&Leder oder Mitpachat, Hidschāb, Bandana, Haubenflecklas getragen. Da muss die Stadtgesellschaft auch Filmvorführungen über die Holländische Hausbesetzerszene klaglos hinnehmen, ohne mit Polizeihundertschaften aufzulaufen, wie das 1981 geschah.

Nürnbergs bürgerlicher Konsens …

#NUE2025 ist erklärtermaßen überparteilich, jedoch haben wir unsere Grundsätze festgelegt, siehe Selbstverständnis. Mehr oder weniger sind diese Grundsätze in der Mitte der Gesellschaft Nürnbergs verankert, so zu sagen im bürgerlichen Mainstream … so schien es. Bis auf Ränder des politischen Spektrums, die als radikal benannt werden, stellte bisher niemand in Frage, dass Bürger aus z. B. dem griechischen Kulturkreis hier zu Hause sind, und als Bürger Ansprüche an die Kulturpolitik stellen können. Ebenso Homosexuelle, Punker*innen, Russisch Orthodoxe und Oberpfälzer*innen, Donauschwab*äbinn*en oder Wolgadeutsche. Die Grundsätze der kulturellen Entwicklung seit Anfang der 50er Jahre, der Postmoderne – Liberalität, Offenheit und die Freiheit sich individuell kulturell auszudrücken – galten uns in der Metropole als endgültig errungen.

Leider wird dieser wohlige Konsens nun in Frage gestellt und zwar von der bayrischen Volkspartei. Wenn wir über die beiden widerstrebenden Vorstellungen von Kultur reden, die zu einem Streit führen werden, so können wir leider nicht umhin Parteien zu benennen, die Streitpositionen beziehen.

… ein trügerischer kultureller Konsens?

Bereits Anfang Oktober 2017 verfasste der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Vize-Generalsekretär Markus Blume in Abstimmung mit Parteichef Horst Seehofer angesichts der deutlichen Verluste bei der Bundestagswahl den Zehn-Punkte-Plan mit dem Titel «Warum die Union eine bürgerlich-konservative Erneuerung braucht» für die Kursdebatte mit der CDU-Spitze. Damals diskutierten wir innerhalb des Kernteams von #NUE2025, ob wir darauf reagieren sollten. Es handelte sich offensichtlich nicht um eine Randmeinung der Partei und es handelt sich um Standpunkte, die die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt (ECOC) eindeutig tangieren. Einige der 10 Punkte berühren nicht nur den oben beschriebenen, kulturellen Konsens Nürnbergs, sondern auch das Verständnis von Kultur als Experiment. Eine lebendige Stadt jedoch probiert aus, eine Europäische Kulturhauptstadt braucht das Experiment, eine Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt ohne progressive Kulturpolitik ist zum Scheitern verurteilt.

Die Fragen die uns umtrieben, angesichts der Vorstellung die Grundsätze dieses Plans würden Grundlage der Landespolitik, auch der Kulturpolitik des Landes, waren:

  • Was ist kulturell unter „heute ist das Konservative das neue Moderne“ zu verstehen?
  • Wenn geschrieben steht „Viele Menschen fühlen sich abgehängt – kulturell“, wer hat sie abgehängt und soll die kulturelle Entwicklung angehalten werden, damit die Abgehängten aufholen, wider Teil unserer Gesellschaft werden?
  • Wie soll eine Metropole mit signifikanten Bevölkerungsanteilen aus anderen Kulturkreisen Forderungen wie „gesunder Patriotismus und Liebe zur Heimat“ in Kulturpolitik umsetzen?
  • Was wäre der Inhalt einer Nürnberger „Leitkultur“?
  • Wenn geschrieben steht „Grenzenlose Freiheit macht Angst“, wie sehr soll die Freiheit auch des kulturellen Lebensausdrucks – z. B. Kleidung, Essen, Feiern – begrenzt werden, damit Bürger keine Angst mehr haben?

Auch wenn wir diese Fragen bisher nicht öffentlich gestellt haben, waren und sind wir ehrlich gespannt im Rahmen der Bewerbung Nürnbergs zur European Capital Of Culture (ECOC) von der Nürnberger CSU diese Schlagworte mit konkreten Antworten gefüllt zu sehen. Erst Recht, nachdem der Nürnberger Markus Söder Spitzenkandidat der CSU für die Landtagswahl 2018 geworden ist. Kulturreferentin Frau Prof. Dr. Lehner ist ja ebenfalls eine bedeutende Stimme in der Nürnberger CSU. Wir fragten uns auch, wie soll Nürnberg 2025 aussehen, damit sich die mit diesem 10-Punkte Plan angesprochenen Bürger wiederfinden. Es muss ja eine signifikanten Teil der Bevölkerung geben, die die CSU adressiert und in einer ECOC-Bewerbung dürfen solche signifikanten Teile der Bürgerschaft nicht beiseite gelassen werden.

noch keine Debatte … aber in Sicht

Anfang Januar 2018 jedoch scheint sich die lokale Diskussion über die sogenannte Neue Neue Kulturpolitik, die Kulturstrategie 2030, überhaupt nicht um den dräuenden Streit über bisher vermeintlich Selbstverständliches des Kerns von Kultur zu kümmern. Sagen wir es so: es gibt nahezu noch keine politische Diskussion zum Thema Kultur. Dies wird sich jedoch ändern.

Zum Einen legt der Beraterstab um Patrick Föhl die transkulturelle Gesellschaft als selbstverständliches Fundament und Ziel der Kulturstrategie 2030 zugrunde – siehe S. 19 des Ergebnisprotokolls des 2. Workshops –, was dem Selbstverständnis von #NUE2025 entspricht, aber eben offensichtlich nicht dem Selbstverständnis des gesamten politischen Spektrums der Metropole. Fundamentale Kritik wird also auch aus Teilen der CSU zu erwarten sein, von den Freien Wählern und im politischen Spektrum rechtsstehenden Gruppierungen ganz abgesehen.

Zum Zweiten hat im Kontext der jährlichen Klausurtagung der CSU und der Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung im Bund Alexander Dobrindt 7 Thesen zu Deutschland mit dem Titel „Wir brauchen eine bürgerlich-konservative Wende“ veröffentlicht. Er behauptet das Land werde seit Jahrzehnten von einer linken Minderheit dominiert, konstatiert eine unterdrückte bürgerliche Mehrheit, einen seit den 1968ern anhaltenden „ideologischen Feldzug gegen das Bürgertum“ und fordert schlichtweg eine „konservative Revolution“. Dieser Debattenbeitrag ist von breiter Front in den Medien zurückgewiesen worden, so z. B. in der ZEIT „Deutschland soll Bayern werden!“ von Robin Detje und „Welches linke Land?“ von Christian Bangel, oder der Frankfurter Rundschau „Überflüssige Revolte“ von Daniela Vates. Andere, konservativere Blätter wie die WELT bewerten diese Abwehr als Reflexe der Gesinnungslinken. Welch gesellschaftlichen Dissens Dobrindt damit aufreist, zeigen die Reaktionen im Netz und in den Medien für Junge Menschen wie ze.tt und jetzt, die Marietta Slomkas Interview mit Dobrindt zu dem Thema im heute journal vom Abend des 4. Januar als Bloßstellung und Zerlegen feiern. Der Bayrische Rundfunk analysiert nüchtern „Das Ziel: Rückholung der AfD-Wähler“.

konsistente Strategie für eine Neue Alte Kulturpolitik

Doch vergleicht man Dobrindts Einlassungen mit dem bereits erwähnten Zehn-Punkte-Plan «Warum die Union eine bürgerlich-konservative Erneuerung braucht», so stellt man fest, dass Dobrindt nur dekliniert hat, was bereits seit Oktober zum Fundament der CSU geworden scheint. Vielleicht führt diese Strategie zu einer Einbindung derjenigen Menschen in die Debatte, die sich kulturell von einer vermeintlichen Hegemonie abgehängt fühlen. Vielleicht will die CSU gar nicht da hin, wo sie hindeutet. Vielleicht ist das eine Provokation, um eine Debatte über vermeintlich gesichertes zu starten. Vielleicht kratzt die Debatte aber auch den dünnen Firnis auf, den wir Kultur und Zivilisation nennen. Einen Kulturkampf, wie er in den USA und in Britannien geführt wird, gilt es jedenfalls zu vermeiden.

Schließlich ist auch zu hinterfragen, wie solche kulturpolitischen Signale der die Landesregierung dominierenden Partei auf die Europäische Jury wirkt, die über die Vergabe des Titels entscheidet: hier ist Kulturpolitik Europapolitik. Die Jury wird eine Stadt aus einem Bundesland, dessen Regierung dezidiert pro Europa ist, wie Niedersachsen, sicher Nürnberg vorziehen, wenn die Europapolitik Bayerns sich eher an Viktor Orbán orientiert.

Im Verlauf der für Nürnberg in dem Beschluss der Kulturstrategie 2030 und Erstellung der ECOC-Bewerbung 2025 so wichtigen nächsten neun Monate wird die Kulturpolitik des Landes also eine Debatte haben, welches kulturelle Selbstverständnis vorherrscht. Diese Debatte zu führen hat die CSU beschlossen, deren aktueller Spitzenkandidat Nürnberger ist und die die Kulturreferentin Nürnbergs stellt. Und Nürnberg wird den Rückhalt des Landes bei der Bewerbung brauchen.

Debatte bitte, kein Kampf

Auf die Politik und die Politiker*innen Nürnbergs kommt also eine große Herausforderung zu. Wir sind gespannt, ob sie die nötige Kraft aufbringen, diese Debatte zu führen. Wir als Bürger sollten uns ebenso fragen, ob wir den Willen und die Kraft haben diese Debatte zu führen – oder doch lieber zur Seite treten und die Kulturpolitik als Zuschauersport betreiben.

Eine Bekannte von mir war nach dem 5. März 1981 drei Tage verschwunden, die Eltern wussten nicht, wohin der Staat ihre minderjährige Tochter verbracht hatte. Auch ich vergesse den Geruch von Reizgas in der Luft nicht. Ja, wir brauchen eine lebendige Debatte, nein, diese Form der Auseinandersetzung können wir umgehen.

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