Von Kassel lernen

Von Kassel lernen

Von Kassel lernen

Was können wir von Kassels gescheiterter?, aufgegebener?, beendeter Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 lernen? Kassel hatte sich bereits für 2010 beworben gehabt, ist für 2015 wieder ins Rennen gegangen und nun ausgestiegen. Immer wieder wurde gesagt – auch von unserer Seite –, dass sich eine Bewerbung in jedem Fall lohnt. Auch Kassel hat aus der erneuten Bewerbung einiges an Erkenntnis zur Entwicklung als Kulturstadt gezogen.

Was können wir davon lernen? Im Guten wie im Schlechten? Hier ein paar kurze, harte Mitnahmen:

1. Verantwortung durch die Bürgerschaft

Bei der Entscheidung die Bewerbung vorzubereiten gab es immerhin Beschlüsse durch die Stadtverordnetenversammlung, bei der Absage haben der OB plus Referent*inn*en (hauptamtliche Magistratsmitglieder) qua Pressekonferenz entschieden. Auch wenn der neue OB, der seit ein paar Monaten im Amt ist und seine neuen Referent*inn*en verständlicherweise Gestaltungswillen zeigen … sinnvoll oder gar zukunftsweisend ist so eine „Führung“ nicht. In sogenannten postdemokratischen Zeiten müssen andere Mechanismen der politischen Entscheidungsfindung geprobt werden.

2. Ehrlich und transparent mit Geld umgehen!

Hieß es in der Bewerbungsphase auf Kassels Seite noch: 2 Millionen für die Bewerbung, operatives Budget von 70-75 Mio. €, Eigenanteil von 15–22,5 Mio. €, so wurde die Absage auf einmal mit der Zahl 200 Mio. € bei erfolgreicher Bewerbung begründet. Eine plötzliche Verzehnfachung ist weder transparent noch ehrlich. Nürnberg muss hier ein transparentes Monitoring aufsetzen, das es der Bürgerschaft ermöglicht, die Entwicklung – der Planung, Vorausschau – zu verfolgen.

3. Kulturkonzeption, -strategie

Kassel führt den begonnen Prozess zu Ende, eine solche Konzeption 2030 zu machen. Nürnberg wird an dem vorgelegten Konzept als „rollenden Prozess“ (O-Ton) weiterarbeiten. Und in Nürnberg scheint es Konsens zu sein, auch nach Abgabe des Bitbooks die Kulturstrategie nicht auf dem dann erreichten Stand zu konservieren, sondern auch in Zukunft einen weitreichenden, kulturpolitischen Blick zu wahren.

4. Freie Szene

Kassel konstatiert mangelnde Ateliers, Proberäume, Auftrittsmöglichkeiten. Nun mehr davon ist immer opportun. Wir haben bei unseren Treffen, den Themenplenen von NUE2025, aus den Teilszenen gehört:

  • Proberäume (Musik) ist okay,
  • Auftrittsmöglichkeiten (überdacht) sind okay,
  • es fehlen ausreichende Möglichkeiten für Auftritte im öffentlichen Raum, aka Strassenmusik/theater (schlicht Berechtigungen),
  • Ateliers sind Bestandteil des freien Marktes und im Vergleich zu anderen Metropolen günstig.

 

5. documenta bzw. Leuchtturmprojekt

Kassel will die documenta institutionell, finanziell und personell stärken. Der Sonderfall Kassels ist diese brutale kulturelle Dominanz der documenta. Nürnberg hat kein solchen, alles überragenden Leuchtturm, aber muss adäquat seine bestehenden Institutionen auf Weiterentwicklung analysieren. Leuchtturmprojekte sind zum Teil nötig, hier könnte Nürnberg sein Profil schärfen, ohne in so eine Schieflage/Monokultur wie in Kassel abzurutschen. Das Gießkannenprinzip ist verführerisch, aber am Ende nicht hilfreich: nicht alle Institutionen können und sollten in gleichem Maße gefördert werden.

6. Hilfe im Förderwesen

Kassel will die Kulturszene besser unterstützen, Fördermittel von EU, Bund, Hessen und der Stadt zu nutzen. Die Einrichtung einer solchen Beratung wäre auch in unserer Metropole wirklich nötig. Uns wurde berichtet, dass insbesondere die Situation der 4-Städtemetropole katastrophal im Förderwirrwar ist. Auch Förderungen privater Stiftungen und der Wirtschaft sollten integriert werden. Und natürlich nicht nur bildende und darstellende Künstler bedient werden. Es gibt bereits im Wirtschaftsreferat eine Stelle für die Kultur&Kreativ-Wirtschaft und auch die anderen Städte, bzw. der Regierungsbezirk Mittelfranken hat Ansatzpunkte. Zusammenfassen, bündeln und stärken bitte.

7. documenta-Institut

Die Einrichtung des documenta-Instituts könnte für Nürnberg übersetzt werden in: die Kunst-/Musikhochschulen, die Museen, die Ohm-Hochschule und die Friedrich-Alexander-Universität müssten ihre Kooperationen, die in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind, auf Sinnhaftigkeit und Zukunftsfähigkeit überprüfen. Treffen diese Kooperationen die Bedürfnisse der Bevölkerung und der Wirtschaft? Kassel hat EINE Universität, in der auch die Künste integriert sind. So weit muss man nicht gehen, aber die Zersplitterung des Themas Kultur auf vier Hochschuleinrichtungen und die dräuende Neugründung einer Fünften sowie das Aufweichen der Disziplingrenzen im 21. Jahrhundert erzwingt vernünftigerweise eine Debatte.

8. Bibliothek

Dies betrifft Nürnberg nur in dem Sinne, dass die meisten gar nicht wissen, wie toll unsere Bibliothek (und das BZ) im Vergleich sind.

1 Comment
  • Martin Blättner
    Posted at 21:41h, 24 März Antworten

    Sicher ist es sinnvoll, wenn Nürnberg von Kassel lernt: Alles was Bildung betrifft ist gut, was die Kosten betrifft weniger. Zu 1. Viele Bürger würden gerne über eine Kulturhauptstadt abstimmen. Das sollte möglich sein, freilich hat eine Volksabstimmung den großen Nachteil, dass Stimmungen und womöglich nicht die Vernunft entscheiden, weil oft auch das transparente Hintergrundwissen fehlt. Zu 2. Forderungen nach Transparenz betreffen vor allem die Finanzierung. Genaue Zahlen lagen bislang nicht auf den Tisch. Die Summe von 100 Millionen – von der kürzlich im Presseclub zu hören war – betrifft offenbar das „operative Budget“. Unklar bleibt, für was diese Gelder genau verwendet werden, wieviel Fördergelder zu erwarten sind, und was der Eigenanteil ist. Zur Erinnerung. Die Pro-Kopf-Verschuldung eines Nürnberger beläuft sich derzeit bei etwa 2,500 Euro. Es kommen also mindestens 200 Euro für den Titel hinzu, wenn nicht Fördergelder fließen. Bei der Instandsetzung der Zeppelin-Tribüne läßt der Bund Nürnberg offenbar noch zappeln.. Zu 3. Die Strategie der Kulturhauptstadt ist mir noch nicht bekannt.Zu 4. Auch in Nürnberg steigen die Preise für Ateliers, wie teuer sind sie 2025? Macht der Titel „Kulturhauptstadt“ Nürnberg womöglich teurer? Übrigens kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass es schwirig ist, ein Atelier zu finden. Doch vor allem: Wo gibt es Ausstellungsmöglichkeiten für Künstler? Die regionalen Galerien und Institute oder Vereine und Ausstellungshäuser brennen nicht gerade danach, regionale Kunst zu präsentieren. Die hätten halt lieber internationale Kunst. Zu 5. Ein Leuchtturm-Projekt wäre etwa, die Triennale der Zeichnung wieder zu beleben. Zu 6. Natürlich fördern, jederzeit gern und soviel wie möglich. Aber bei der Niedrigzins-Politik schwächeln auch die Banken. Ansonsten geht es nicht nur ums Geld, sondern um Ideen. Zum Beispiel die Kunst der Region als Geldanlage.Zu 7: Die Universitäten von Nürnberg unter einem Hut zu bringen ist sehr schwierig, vor allem aber lassen die sich nicht in ein Kunst-und-Kultur-Quartier subsimieren, weil das autonome Institute sind, die zunächt sich selbst profilieren wollen.zu 8. Ja, die Bibliothek ist ein Aushängeschild für Bildung.Allerdings neuerdings auch mit Kosten verbunden, was den Ansturm etwas einschränkt. Insgesamt: Noch bewegt sich die Bewerbung auf einem eher dünnen Eis.

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