27 Aug Bewerber zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025
Bilderklärung: Rundreise durch alle Bewerber zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 in Deutschland, von Zittau (A) über Dresden (1), Chemnitz (2), Gera (3), Magdeburg (4), Hannover (5), Hildesheim (6) nach Nürnberg (B), Kartenbild (maps) © Thunderforest, Data © OpenStreetMap contributors
Bewerberfeld
Stand 16. November 2019
Welche Städte bewerben sich in Deutschland um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025, kurz ECOC2025? Wir veröffentlichten im August 2018 unsere bis dato internen Recherchen, da Presseberichte kursierten, die den Stand schlicht falsch wiedergaben. Seit dem aktualisierten wir diesen Beitrag und nach Abgabe der Bewerbungen zum 30. September 2019 hat nun die Presse auch einen einheitlichen Wissensstand, der durch die Kulturstiftung der Länder, die Organisatorin des Bundesdeutschen Auswahlverfahrens leidlich vermittelt wird: Wer sich auf deren Internetsite informieren will, muss sich schon ganz schön weit durchscrollen, um auf eine Presseerklärung zu stoßen, die die Bewerberstädte benennt.
Der Stand selber hatte sich manchmal überraschend schnell geändert, wie wir Ende September 2018 gesehen haben. Daher passten wir den Bericht an.
Eine Klärung bot die Auftaktveranstaltung zur Bewerbung am 16. Oktober 2018 bei der ausrichtenden Kulturstiftung der Länder: Dort konnten sich die Bewerberstädte im Pecha Kucha-Format präsentieren. Erschienen waren: Chemnitz, Dresden, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau. Obwohl das Auftreten kein Ausschlusskriterium war – wer nicht dabei war konnte sich trotzdem bewerben – haben sich am Ende exakt diese Acht auch beworben.
Hier ist unsere Zusammenfassung:
Bewerberstädte
* Die Stadtverwaltung antwortete auf Nachfrage am 8. November: „Das Bid Book wird am 13.12. vollständig veröffentlicht und wird dann auch auf unserer Website zum Download bereitstehen.“ Es konnte aber bis heute nicht gefunden werden.
** Das Bid Book wurde am 7. November öffentlich vorgestellt und ist seit dem zum Download bereit. Auf der Internetseite steht: „Diese ist die englische Version, wie wir sie am 30.09.2019 eingereicht haben. Die deutsche Übersetzung folgt demnächst.“
*** nicht aufgefunden, per Mail angefragt
- zu Gera: Die Bewerbung ist getrieben durch engagierte Bürger, war kein Standpunkt der Stadtverwaltung mehr, um dann urplötzlich in einem Stadtratsbeschluss zu münden: der exakte Beschluss ist nicht bekannt, Gera „soll“ europäische Kulturhauptstadt werden, hieß es in der Presse. Kern des Beschlusses ist wohl eine Kulturstrategie 2030 zu entwerfen, deren Bestandteil die Bewerbung zur ECOC 2025 sein solle und die Bürgerinitiative Gera2025 zu unterstützen. Das Land Thüringen hat hier beachtlich geschubbst, ooops „angeschoben“ meinen wir natürlich!
- zu Hannovers Veröffentlichung des Bid Book: Hannover hat bereits vor der Abgabe die einsehbaren Ausschnitte des Bid Books online und medial aufbereitet veröffentlicht: Durch Auslassung aller „harten“ Teile wirkt das fluffig und beschwingt, aus medienkritische Sicht werbend verzerrt.
- zu Hildesheim: Die Lenkungsgruppe hatte Ende Juni 2019 die Bewerbung empfohlen. Ende August 2019 nahmen die Stadt Hildesheim, der Landkreis und die weiteren 17 Landkreiskommunen die Vorlage einstimmig an.
Durch mehrere Beschlüsse des Stadtrats, Kreistags sowie diverser Ratsbeschlüssen von Kommunen im Landkreis war die Bewerbung jedoch vorher quasi beschlossen. Formal jedoch hatte die Lenkungsgruppe den Auftrag die Gestaltung der Kulturhauptstadt-Bewerbung zu betreiben und „die fertige Bewerbungsschrift mit einer Empfehlung an den Rat der Stadt Hildesheim und den Kreistag [zu übergeben], die über die Abgabe der Bewerbungsschrift als Antragssteller zu befinden haben.“ - zu Zittau: Die Stadt Zittau bewirbt sich stellvertretend für die Dreiländerregion Oberlausitz mit ihren Partnern in Tschechien und Polen. Per Bürgerentscheid hat sich die Stadt am 26. Mai 2019 mit 8.870 Ja-Stimmen / 74,2 % / Wahlbeteiligung 56,7 % für die Bewerbung entschieden.
Städte die nicht mehr dabei sind
- Aachen – „Aachen hat kein Interesse an der „Kulturhauptstadt 2025“ „ (Stand 24. Januar 2018). Bis zuletzt gaben die Bürger Initiative „wir für hier 2025“ noch nicht auf. Quelle, auch die Presse neigte dazu: „Aachen als Kulturhauptstadt Europas: „Schon eine Bewerbung wäre ein Sieg“ „
- Bamberg
- Bonn – letzte Pressemeldung zu dem Thema stammt aus April 2017: „EU-Kulturhauptstadt: 2025 Bonner Kulturdezernent zeigt sich skeptisch“. Das Thema ist in Bonn tot.
- Eisenach – fieng im November 2018 an darüber nachzudenken – aus informierten Kreisen hörten wir, dass die Entscheidung wohl Ende Januar 2019 im Stadtrat erfolgen sollte. Da seit Anfang 2019 nichts mehr zu hören / lesen ist, gehen wir davon aus, dass Eisenach nicht ins Rennen einsteigt.
- Frankfurt a.M. mit Rhein-Main-Gebiet: Nach überragender Wiederwahl des bisherigen SPD OBs Feldmann am 10. März 18 hat sich die Bewerbung endgültig erledigt. Vorher wurde die Bewerbung immer wider diskutiert, mal als Region, mal Frankfurt alleine. Die ECOC-Bewerbung war Teil des Wahlprogramms der OB-Kandidatin der CDU, der amtierende Bürgermeister und die Kulturdezernentin waren jedoch dagegen. OB-Kandidatin der CDU ist dafür, Kulturreferentin SPD ist dagegen, das ganze noch planlos, aber wenn als Zentrum der Region Ein weiterer Bericht über die gleiche Verantstalung: am 25. Februar 2018 wurde gewählt, danach wollte die CDU-Kandidatin eine Stabsstelle für ECOC einrichten. Aber die Zeit war eigentlich bereits abgelaufen, insbesondere, weil die Reihen nicht geschlossen waren, weder in der Stadt, noch in der Region. „2025 stellt Deutschland eine Kulturhauptstadt – Chance für das Rhein-Main-Gebiet?“ Artikel von Ende November 2017
- Freiburg – da es seit 2016 keine einzige Pressemeldungen zu Freiburgs Bewerbung gibt, ist nicht davon auszugehen, dass von dort noch was kommt.
- Görlitz – Ist 2010 knapp gescheitert, eine erneute Bewerbung scheint eine unausgegorene Idee gewesen zu sein, der Einstieg von Zittau war das sichere Aus für Görlitz. Unsere Einschätzung hatte sich Anfang 2018 bewahrheitet Quelle
- Greifswald – hat seine Bestrebungen aus Kostengründen gestoppt Quelle
- Halle/Saale – Der Stadtrat hat sich im Juni 2017 dagegen entschieden.
- Hamburg – Die letzte Pressemeldung zu dem Thema stammt aus 2016. Wenn wäre es eine Bewerbung mit Lübeck und der Metropolregion geworden. Durch eine private Auskunft an uns aus dem Büro der Metropolregion Hamburg: Das wird wohl nichts, die Idee ist aus dem Metropolregion-Verband heraus angestossen worden, findet aber keine Resonanz. Das Thema ist in Hamburg tot.
- Kassel – bereitete die Bewerbung vor, wollte erst 2018 endgültig entscheiden und hat sich im März 2018 dagegen entschieden. Nachdem die Stadt 2010 bereits den Bewerbungsprozess durchlaufen hatte, war der Mehrwert einer Bewerbung nicht klar. Am Ende hat sich die Stadt entschieden ihren Fokus auf die documenta zu legen.
- Koblenz – Der Rat der Stadt hat im Mai 2017 beschlossen, dass die Bewerbung geprüft wird. Nun ist sie raus, weil das Land kein Geld gibt: „Stadtvorstand folgt Rat der Landesregierung“
- Leipzig – „Leipzigs Kulturbürgermeisterin sagt nein“
- Lübeck – nach einem strukturierten Prozess mit Machbarkeiststudie nahm man die Erkenntnisse mit und verzichtete. Im Dezember 2017 kam die halbformale Entscheidung: „Kulturhauptstadt: Aus für Lübecks Bewerbung“. Interessant hierbei ist die Einschätzung, dass bereits die Machbarkeitsstudie zur deutlichen kulturpolitischen Verbesserung geführt hat.
- Mannheim – Ausstieg wegen Kosten und weil sie sich auf die BUGA konzentrieren.
- Pforzheim – Pforzheim ist definitiv draussen: der Gemeinderat hat sich Anfang Oktober 2018 per Stimmungsbild deutlich dagegen ausgesprochen. Die Idee die Bewerbung rechtssicher durch Sponsoren finanzieren zu lassen, war nicht tragfähig.
- Rostock – arbeitete hart an der Bewerbung zur BUGA 2025 und hat den Zuschlag bekommen. Einige wenige meinten, man solle sich gleich zu BUGA UND ECOC gleichzeitig bewerben. Der Oberbürgermeister erwägte im August 2017 die Bewerbung. … bis Dezember 2018 gab es keine neuen Informationen. Anfang 2019 fingen einige an, die Idee wider zu ventilieren, nach dem Rostock die BUGA-Zusage hatte. Die Diskussion wurde Ende Januar mit einer Entscheidung der Bürgerschaft finit erledigt.
- Salzgitter – nun um ehrlich zu sein wussten wir gar nicht, dass Salzgitter überlegt, bis die Absage im Juni 2019 erfolgte: „Salzgitter wird sich nicht als Kulturhauptstadt 2025 bewerben“.
- Stralsund – Bildungs- und Kulturausschuss der Bürgerschaft folgte dem Vorschlag der Verwaltung, sich nicht mehr um den Titel zu bewerben.
- Ulm – da seit Mitte 2016 keine einzige Pressemeldungen zu Ulms Bewerbung gibt, ist nicht davon auszugehen, dass von dort was kommt.
- Würzburg – hat sich im Januar 2017 dagegen entschieden
Unsere Einschätzung
Wir, von NUE2025 verfolgen seit 2016 sehr genau das Mitbewerberfeld. Weniger aus kompetetiven Gründen, sondern mehr um zu lernen, was andere gut machen und zu vermeiden, was andere schlecht machen. Dabei erwägen wir selbstverständlich auch die Chancen und Risiken einer Bewerbung für Nürnberg – auch um die Sinnhaftigkeit unseres Handelns zu überprüfen.
Einiges von dem, was wir „voraussagten“ ist später so eingetreten:
- Das Ausscheiden von Kassel, Koblenz, Mannheim und Pforzheim, die Bewerbung Zittaus durch Annahme des Bürgerentscheids.
- sichere Bewerbung von: Chemnitz, Magdeburg, Nürnberg, Zittau
- eventuelle Bewerbung von: Dresden, Gera, Hannover oder Hildesheim
Anderes trat nicht ein. Von 2017 bis zum Frühsommer 2019 zweifelten wir an der Bewerbung von:
- Dresden – siehe Kommentar unten
- entweder Hildesheim oder Hannover – wir vermuteten ein Zusammengehen von Hildesheim mit Hannover. Wir dachten, wenn Hannover seine Unstimmigkeiten in der Verwaltung überwindet, würde Hildesheim sich Hannover anschließen, oder aber Hannover würde auf Grund der internen Querelen die Bewerbung nicht zustande bringen. Da lagen wir falsch und wir gratulieren Beiden zur Abgabe einer überzeugenden Bewerbung.
Unsere Vermutungen – über die hier gerne diskutiert werden soll – zum weiteren Verlauf lauten (seit 2017):
in die zweite Runde / Shortlist kommen:
- Magdeburg
- Nürnberg
- Zittau
Viele unterschätzen den Proporz in der Bundesrepublik Deutschland: 2010 wurde unter den nordrhein-westfälischen Städten Köln, Münster und Essen, Essen und unter den bayrischen Städten Augsburg, Bamberg und Regensburg, Regensburg als jeweiliger Vertreter für die weitere Selektierung ausgewählt. Weiterhin wissenswert zu den vorangehenden Auswahlen: In der letzten Endauswahl 2010 waren neben Essen nur noch Görlitz. Über das Auswahlverfahren für Weimar 1999 ist nichts herauszubekommen, vielleicht wurde Weimar damals schlicht von der Kultusministerkonferenz ernannt, erste ECOC nach der Wiedervereinigung, 250-Jahre Goethe, Bauhaus etc.pp. stand also quasi für das beste Deutscher Kultur, Weimar sei Deutschland in nuce, sagte der Bundespräsident damals.
So wird eine und nur eine Stadt aus Sachsen auf die Shortlist kommen.
Thüringen hatte bereits 1999 mit Weimar eine ECOC und hat im Entscheidungsjahr 2019 in der Aufmerksamkeitsökonomie mit „100 Jahre Bauhaus“ zu kämpfen.
Der Westen Deutschlands war das letzte Mal mit Essen 2010 dran, eine süddeutsche Stadt war bisher weder deutsche ECOC, noch in der Endauswahl …
Philip Zerweck
Posted at 15:34h, 04 OktoberAuf facebook kam die Frage:
„Liebe Kollegen, es fehlt leider eine Erläuterung. „Vielleicht eine Bewerbung abgeben werden: – Dresden“. Danach kein Text, aber die Info, Stadtratbeschluss liegt vor. Warum „vielleicht“? Danke im Voraus!“
Zu unserer Vermutung, warum Zittau sich sicher bewirbt und Dresden trotz Beschluss nur vielleicht, also vielleicht nicht:
Bei Kassel vermuteten wir, dass es die Bewerbung aufgibt, weil die Stadt ihre Kraft für den Erhalt und die Weiterentwicklung der documenta benötigt und die ECOC-Bewerbung 2025 keinen nennenswerten Mehrwert mehr versprach – eine schlichtes kräfte-ökonomisches Kalkül also, dass in der Stadtgesellschaft unbewusst gezogen wurde. Wir sollten mit unserer Vermutung Recht behalten.
Bei Dresden haben wir das Gefühl, was wir erstmal nicht schriftlich darlegten, weil es nur so ein Bauchgefühl ist, dass die aktuellen Probleme der Stadtgesellschaft in Dresden mit anderen Mitteln als der ECOC-Bewerbung besser beizukommen sind. Also ebenfalls ein Kalkül, wo die Energie, die eine Stadtgesellschaft aufbringt, besser investiert werden sollte. Kunst und Diskussion über Kultur scheint die Gesellschaft in Dresden eher zu zerreissen, als zu einigen, siehe zum Beispiel die Diskussion über die Installation „Monument“ Anfang 2017 https://de.wikipedia.org/wiki/Monument_(Installation) oder die entgleiste Veranstaltung „Streitbar“ mit Uwe Tellkamp und Durs Grünbein. Die Fragen: Braucht Dresden die ECOC und umgekehrt, braucht Europa eine ECOC Dresden? müssten so beantwortbar sein, dass es eine positive Feedbackschleife gibt, und zwar nicht erst bei der Endabrechnung, sondern bereits während des Bewerbungsprozesses. Die Bewerbung kostet Kraft und wenn Michael Schindhelm sagt „Dresden steht für die Identitätskrise Europas“ dann denken wir, das stimmt schon, aber „- und sollte deswegen Kulturhauptstadt werden“ (so Schindhelm weiter) ist sehr fraglich. Die Kriterien sagen klar, dass eine ECOC doch mit Vorbild, Beispiel und Lösung assoziiert wird. Wenn die Stadtgesellschaft also den Mangel an positiver Rückkopplung ob dieser Sinn-Lücke zwischen „exemplarisches Problem vielleicht“, aber „exemplarische Lösung nicht zu sehen“ als kräftezehrend empfindet, dann kann das dazu führen, dass sich Dresden vielleicht nicht bewirbt, schlicht, weil die Kraft gefühlt woanders benötigt wird und die Bewerbung mehr Kraft kostet, als sie gibt.
Zusätzlich kommt noch das landespolitische Kalkül hinzu: das Land Sachsen weiss, dass eine gleichwertige Unterstützung aller drei sächsischen Bewerber nur dazu führt, dass im bundesdeutschen Proporz alle drei geschwächt werden. Zittau ist das komplette Gegenmodell zu allen anderen Bewerberstädten, will die Bewerbung mit seinen europäischen Nachbarn durchziehen und ist im Populistenstreit doch eher ein kommunalpolitischer Lichtstreifen; also wird Sachsen Zittau nicht fallen lassen. Bleibt die Tatsache, dass der härteste Gegner für Dresden in der kräftezehrenden Hetzjagd bis zur Bewerbungsabgabe Chemnitz ist: und da scheint einfach die Aufmerksamkeit und das Momentum in der Großwetterlage eher so zu sein, dass Chemnitz (gefühlt) die Unterstützung braucht und auch die Aufwertung sich als Kulturstadt zu begreifen in positive Energie umsetzen kann. Das Elbflorenz Dresden empfindet sich bereits durchweg als Kulturstadt: siehe Kassel und die Frage, wo ist der Benefit für den Aufwand?
Zu Zittau: Die Stadt macht vieles anders und ist ein krasser Aussenseiter. Die Bewerbung ist nicht angelegt um zu gewinnen, sondern ausschließlich um sich zu bewerben. Mit entsprechend geringen Kosten und wenig Entfremdung vor Ort. Daher hat es einen extrem hohen Kosten-Nutzen-Faktor und wird sich im anstehenden Bürgerentscheid dafür entscheiden, frei nach dem Motto: „Dabei sein ist alles“! Im Gegensatz zu Städten wie Nürnberg, die unter einer schlechten Bewerbung leiden könnten, durchaus auch u.a. mit Imageverlust und Standortverschlechterung, kann Zittau nur gewinnen.
Was sind Eure Gedanken dazu?